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Gefahren des Darmkeims Was wir aus der Ehec-Epidemie lernen müssen

21 Jun
29.05.2011, 19:12
Ein Kommentar von Christina Berndt

Die Behörden müssen endlich Genaueres über die Ehec-Keime auf spanischen Gurken veröffentlichen, denn der Erreger wird noch lange gefährlich bleiben. Wieso tun sie es nicht – sind ihnen ihre neuesten Erkenntnisse womöglich peinlich?

Die Deutschen haben eine neue Gefahr kennengelernt. Ihre Bekanntschaft zu machen, war grausam. Zehn Tote und Hunderte schwerkranke Menschen sind bislang die Bilanz einer Epidemie mit dem noch recht jungen Darmkeim Ehec, der mit vollem Namen Enterohämorrhagische Escherichia coli heißt. Diesen Zungenbrecher muss sich niemand merken, den Keim aber sehr wohl. Ehec wird uns immer wieder begegnen, er wird zur ständigen Gefahr, wie es die Salmonellen längst für kleine Kinder und alte oder geschwächte Menschen sind. Nur dass Ehec jetzt auch junge Erwachsene aus dem Leben reißt.

Bauern in Sorge - Gurken und Tomaten bleiben liegen Norddeutsche Bauern in Sorge – ihre Gurken will niemand mehr. Doch angesichts des Risikos müssen neue Erkenntnisse direkt an die Verbraucher übermittelt werden. (© dpa)

Seit die Mikrobe vermutlich Ende der 1970er Jahre plötzlich im Pansen eines Rindviehs aus einem harmlosen Coli-Bakterium entstanden ist, hat sie sich immer weiter ausgebreitet. 1990 waren fünf Prozent der Kühe hierzulande infiziert, heute trägt fast jede Kuh den für sie ungefährlichen Keim spazieren.

In Deutschland machte der Keim bisher wenig auf sich aufmerksam, Menschen starben selten daran. Entsprechend schwer tat sich die Politik, Ehec ernst zu nehmen. Es dauerte allein 20 Jahre bis zu einer Meldepflicht für Ehec-Infektionen. Eine solche heilt nicht, aber sie ist ein wichtiges Werkzeug, um Infektionskrankheiten überwachen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können. Auch Aufklärungskampagnen, wie es sie in den USA seit der ersten tödlichen Bekanntschaft mit Ehec 1982 gab, wären in Deutschland längst nötig gewesen.

Denn Ehec birgt im Gegensatz zu Salmonellen eine weitere Gefahr: Die Mikrobe gelangt nicht nur über Nahrung zum Menschen, sie wird auch von Mensch zu Mensch übertragen und kann so zu Epidemien führen. Ehec ist dennoch kein unbeherrschbarer Fluch. Man kann sich davor schützen – und zwar durch einfache Hygiene, auch wenn die verwöhnten Menschen in den Industrienationen diese mehr und mehr zu vergessen beginnen. Viel stärker noch müssten Behörden deshalb am Beispiel Ehec verdeutlichen, dass Händewaschen keine lästige Maßnahme altmodischer Menschen ist, sondern direkt der Gesundheit dienen kann.

Trotz früherer Versäumnisse haben die Behörden beim aktuellen Ausbruch erfreulich besonnen reagiert. Wenige Tage nach dem Auftreten der ersten Fälle informierten sie die Öffentlichkeit. Schnell wurde bekannt, dass diesmal ein besonders aggressiver Keim umgeht, der merkwürdigerweise vor allem junge Frauen trifft, die nicht die üblicherweise verdächtigen Lebensmittel Rindfleisch und Rohmilch verzehrt hatten, sondern rohes Gemüse.

Zu Recht warnte das Robert-Koch-Institut in der Folge vor dem Verzehr von Salat, Tomaten und Gurken in Norddeutschland. Diese Empfehlung war richtig, auch wenn Medien sie in eine Warnung vor Gemüse aus Norddeutschland verwandelten und es nun wirtschaftliche Opfer von Ehec gibt, die Bauern dort in der Region. Angesichts des Risikos müssen neue Erkenntnisse direkt an die Verbraucher übermittelt werden. Niemand braucht Politiker, die vor Kameras heimisches Gemüse verzehren, um dessen Unbedenklichkeit zu demonstrieren, wie dies 1996 in Japan geschah. 8000 Menschen wurden damals durch Ehec-verseuchten Rettich krank.

Doch die offene Informationspolitik muss weitergehen. Denn die Gefahr ist noch nicht gebannt. Es gibt Ehec-Opfer, die sicher sind, keine Gurken gegessen zu haben. Unverständlich ist daher, dass das Hamburger Hygieneinstitut, das die Ehec-Keime auf spanischen Gurken fand, seit vergangenen Donnerstag nichts Genaueres über diese Keime veröffentlicht hat. Arbeitet man dort am Wochenende nicht oder sind neuere Ergebnisse peinlich? Denn nur wenn die Mikroben vom Typ HUSEC41 sind, den das Uni-Klinikum Münster als Verursacher der aktuellen Epidemie identifiziert hat, können die Gurken Quell des Problems sein. Sonst wäre die Meldung eher der Rubrik saure Gurken zuzuordnen.

Quelle: sueddeutsche.de

Ehec gefährdet Bauern – Die Angst des Käufers vor der Tomate

21 Jun

30.05.2011, 15:59

Aus Furcht vor den Ehec-Bakterien halten sich die Verbraucher von Tomaten, Gurken und Salat fern. Für die Gemüsebauern bahnt sich ein wirtschaftliches Desaster an.

Heute kommt wieder kein Lastwagen. Manfred Driessen hat gerade ein knappes Gespräch mit der Genossenschaft geführt. “Kein Großkunde hat bestellt”, erzählt der große, kräftige Mann, und seine Schultern hängen. Keiner will Tomaten kaufen.

Gemüse aus dem Knoblauchsland Nürnberg Tomaten sind derzeit in Deutschland nahezu unverkäuflich. Wegen des Ehec-Erregers hatte das Robert-Koch-Institut in Berlin vor dem Verzehr roher Gurken, ungekochter Tomaten und von Salat gewarnt. (© dpa)

In Driessens gewaltigem, 180 Meter langen Gewächshaus reifen derweil unaufhaltsam die Tomaten weiter. “30 Tonnen hängen hier, die wir ernten müssen”, sagt der 62-Jährige.

Die roten Früchte glänzen prall an den Rispen, sie müssen auf jeden Fall runter. Doch wohin damit? Aus Angst vor dem gefährlichen Darmkeim EHEC lassen Kunden auch Tomaten in den Läden links liegen.

Der Tomatenbauer Driessen aus Nettetal hat sich selbst probeweise im Supermarkt mal neben das Gemüseregal gestellt. “Da gehen die alle dran vorbei”, sagt er.

Der Landwirt kann verstehen, dass die Verbraucher so drastisch auf den lebensgefährlichen Keim reagieren. Schließlich wird vor dem Verzehr von Tomaten, Gurken und Salat gewarnt.

“Alles wird in einen Topf geschmissen”

Allerdings seien die Proben, bei denen EHEC nachgewiesen wurde, in Hamburg genommen worden. “Alles wird in einen Topf geschmissen, wir sind hier im Rheinland”, hadert der Landwirt und verweist darauf, dass er alle Vorschriften einhält und ständig Proben abgibt.

So wie Driessen geht es auch den niederländischen Gemüsebauern. Die Exporte ihrer Produkte nach Deutschland sind stark eingebrochen. Seit Sonntagabend gebe es praktisch keine Lieferungen nach Deutschland mehr, sagte Landwirtschaftsminister Henk Bleker am Rande des EU-Agrarminister-Treffens im ungarischen Debrecen.

Ein hoch spezialisiertes Geschäft

Die Niederlande verkaufen traditionell viel Gemüse nach Deutschland – pro Woche exportieren sie Grünzeug im Wert von circa zehn Millionen Euro nach Deutschland.  Doch auch Bleker äußert angesichts von mittlerweile elf EHEC-Toten Verständnis für das Vorgehen der deutschen Behörden.

Das Robert-Koch-Institut hatte am Mittwochabend erstmals vor dem Verzehr roher Gurken, ungekochter Tomaten und von Salat gewarnt. Diese Warnung gilt weiterhin, da die Quelle des Erregers bislang nicht zweifelsfrei feststeht. Der Darmkeim EHEC breitet sich seit Mitte Mai in Deutschland ungewöhnlich rasch aus.

Der Rheinländer Driessen baut seit acht Jahren nur Tomaten an – es ist ein hoch spezialisiertes Geschäft. Sein Gewächshaus ist 12.500 Quadratmeter groß. Überall ragen in langen Reihen die Pflanzen hinauf zum Glasdach. Es gibt immer gleichzeitig reife Tomaten, aber auch grüne, die noch Zeit brauchen.

So können der Landwirt, seine Frau und die sieben Angestellten ständig ernten, so können die Kunden stetig beliefert werden. Jetzt allerdings ist die Nachfrage zusammengebrochen, und keiner weiß, wohin mit der Ware.

Auch die Kollegen nicht, mit denen Driessen immer wieder telefoniert. “Wir haben Riesenprobleme.”

Der Landwirt rechnet vor: Allein die Energie fürs Treibhaus kostet 6000 Euro die Woche, dazu kommen Lohnkosten für die Angestellten und Investitionen in ein neues Gewächshaus, das gerade entsteht. Auf der Einnahmeseite dagegen Leere.

Ernte, aber wozu?

“Wenn das so weitergeht, dann gehen hier in vier Wochen die Lichter aus”, sagt er. “Dann ist Schluss.” Doch erstmal werden nun die 30 Tonnen geerntet, wenn auch nicht klar ist, wozu.

Zwei bis drei Tage können sie noch in Kisten lagern, dann sind die Tomaten unverkäuflich. Aufs Feld kippen? Oder Biogasanlagen? “Nehmen die das?” fragt der Landwirt. Und in ein paar Tagen sind wieder 30 Tonnen Tomaten rund und schön – reif für den Verkauf – oder die Entsorgung.

Quelle: sueddeutsche.de

Kampf gegen Ehec “Chaos” in Deutschland erzürnt Europapolitiker

21 Jun
07.06.2011, 13:56

“Leichtfertige Warnungen”: Der Umgang deutscher Behörden mit den Ehec-Erkrankungen stößt innerhalb der EU auf heftige Kritik. Geschädigte Landwirte können derweil auf Entschädigungszahlungen hoffen. Über deren Höhe allerdings wird noch gerungen.

Der gefährliche Darmkeim Ehec wütet – und die Reaktionen der Verbraucher haben massive Konsequenzen für die Gemüsebauern. Viele Menschen verzichten auf den Kauf von Tomaten, Gurken und Salat; die Bauern und die Gemüsehändler bleiben auf vielen Produkten sitzen oder müssen sie schreddern.

Bauern werfen tonnenweise Gemüse weg Die Bauern müssen tonnenweise Gemüse wegwerfen, im Bild schreddert ein Bauer Salatköpfe. (© dpa)

Die Klagen über die finanziellen Ausfälle mehren sich. Doch nun können die Bauern auf einen Ausgleich hoffen. Dessen Höhe ist allerdings noch offen.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag einen Vorschlag über Hilfszahlungen in Höhe von 150 Millionen Euro vorgelegt. Für die am meisten betroffenen Produkte, die vom Markt zurückgenommen werden, solle 30 Prozent des Referenzpreises aus den Vorjahren bezahlt werden, erläuterte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos auf einem Dringlichkeitstreffen der EU-Agrarminister in Luxemburg. Abgedeckt werde die Zeit von Ende Mai bis Ende Juni.

Die Agrarminister sprachen sich zwar grundsätzlich für die Hilfszahlungen aus, wie ein EU-Diplomat am Rande des Treffens sagte. Die Summe von 150 Millionen Euro fand allerdings keine Zustimmung. Sie sei als zu niedrig angesehen wurden, hieß es. Ciolos sagte am Abend eine “substanzielle Nachbesserung” vor.

Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca hatte gefordert, die Einnahmeausfälle zu 100 Prozent zu ersetzen. Dafür sprachen sich auch der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire und seine spanische Kollegin Rosa Aguilar aus. “Für Spanien sind 30 Prozent nicht genug”, sagte Aguilar. Ihr zufolge unterzeichneten mehrere Länder ein Schreiben, in dem sie je nach Produkt Zahlungen in Höhe von 90 bis 100 Prozent der Einnahmeausfälle der Landwirte forderten.

Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) stellte in Luxemburg klar, es gehe um Entschädigungen “von EU-Seite”. Die Ehec-Krise sei “ein europäisches Problem”, das daher auch von den Vertretern aller 27 EU-Länder beraten werde. Es stelle sich nicht die Frage, dass Deutschland direkt Entschädigungszahlungen leiste, sagte ein EU-Diplomat.

Kritik an Deutschland

EU-Gesundheitskommissar John Dalli warnte Deutschland vor vorschnellen Warnungen durch Behörden. Infektionsquellen sollten nicht angegeben werden, solange diese nicht durch fundierte Untersuchungen belegt seien, sagte er. Solche Angaben müssten “wissenschaftlich korrekt und beweissicher” sein.

Belgiens Landwirtschaftsministerin Sabine Laruelle nannte die deutschen Warnungen “mitunter leichtfertig” und machte sie dafür verantwortlich, dass Europas Gemüsebauern in Schwierigkeiten geraten seien. “Man weiß gar nicht mehr, wer was” in der Krise mache, ob Landes- oder Bundesminister, kritisierte sie am Rande des Treffens der EU-Landwirtschaftsminister in Luxemburg.

Aigner rechtfertigte das Vorgehen der deutschen Behörden vor ihren europäischen Kollegen. Auf Gurken aus Spanien seien Ehec-Keime gefunden worden, wenn auch ein anderer Stamm als bei den Erkrankten. “Aber in der Tat gab es Ehec-Befunde und deshalb musste das auch gemeldet werden. Das sind die europäischen Regeln”, sagte Aigner. “Es geht hier um Menschenleben”, daher seien Warnungen gerechtfertigt.

Auch Europa-Politiker kritisierten das deutsche Krisenmanagement scharf. In den Augen vieler EU-Abgeordneter fehlt in der Bundesrepublik eine klare Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern.

In den USA gäbe es eine zentrale Seuchenbekämpfungsbehörde in Atlanta, sagte die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms. Weder Deutschland noch die EU seien auf diese Ehec-Krise vorbereitet. “Bei zwei Bundesministerien und Länderministerien gibt es Kommunikationsprobleme, und es fehlt eine echte Kompetenz für Entscheidungen.”

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt prangerte in Straßburg ein Kommunikationschaos in Deutschland an. Ihr Fraktionskollege Jo Leinen, der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, beklagte ein Kommunikationschaos und ergänzte: “Es ist inakzeptabel, dass man drei Wochen nach Ausbruch der Krise immer noch nicht weiß, woher der Erreger kommt.”

Quelle: sueddeutsche.de