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Ehec-Warnungen Besonnenheit statt Hysterie

22 Jun
05.06.2011, 19:57
Ein Kommentar von Charlotte Frank

Kommt er im Salat, in Gurken oder doch in den Sprossen vor? Wenig ist bislang auf der Suche nach dem gefährlichen Ehec-Erreger sicher – außer, dass die Wissenschaftler mit Hochdruck versuchen, Antworten zu finden. Mit kollektiver Panik und Verunsicherung lassen sie sich jedenfalls nicht erzwingen.

Die Deutschen sind nahezu unerschütterlich in ihrem Glauben an das Prinzip der Vorbeugung und an die Macht der Medizin. Den Triumph des Menschen über gefährliche Bakterien nehmen sie als selbstverständlich hin. Sollte doch einmal ein Keim bedrohlich werden, so halten sie sofortige Lösungen für ebenso selbstverständlich.

EHEC-Spur fuehrt nach Luebeck Was löst die gefährlichen Darminfektionen aus? Eine Wissenschaftlerin entnimmt von einem Fertignährboden eine Probe, um sie auf Ehec-Erreger zu untersuchen. (© dapd)

Der Ehec-Erreger zerstört diese Selbstverständlichkeiten: Plötzlich gibt es keine schnellen Lösungen, weder zum Schutz der Kranken noch zum Schutz der Gesunden. Plötzlich gibt es Tote. Plötzlich ist der Mensch machtlos. Er kann in dieser Situation nur eins tun: ruhig bleiben. Panik hilft jetzt nicht weiter.

Menschen sind gestorben, Menschen liegen auf Intensivstationen, Menschen fürchten um Angehörige und Freunde. Ohne ihr Leid kleinzureden, so muss es doch in Relation gesetzt werden: Auch wenn die Zahl der Ehec-Infizierten zunimmt, so ist doch die Gefahr für den Einzelnen, von dem Erreger dahingerafft zu werden, eher gering.

Jeder will sich schützen, das ist normal. Es geht diesmal nicht um ekelhafte Würmer im Fisch oder um Ratten im Dönerfleisch – es geht um Menschenleben. Natürlich will jeder wissen, ob er nun durch den Verzehr einer Sprosse, einer Gurke oder vielleicht eines Wurstzipfels bedroht ist. Sicher ist nichts – nur, dass Wissenschaftler mit Hochdruck daran arbeiten, diese Frage zu beantworten.

Doch Antworten lassen sich nicht erzwingen, auch nicht mit kollektiver Panik. Die hilft niemandem, am wenigsten den Kranken. Sie brauchen jetzt Besonnenheit und Kraft statt Hysterie und Verunsicherung. Alle Verantwortlichen, in den Kliniken, in der Politik und in den Medien, sollten sich dessen bewusst sein.

Quelle: sueddeutsche.de

Gefahren des Darmkeims Was wir aus der Ehec-Epidemie lernen müssen

21 Jun
29.05.2011, 19:12
Ein Kommentar von Christina Berndt

Die Behörden müssen endlich Genaueres über die Ehec-Keime auf spanischen Gurken veröffentlichen, denn der Erreger wird noch lange gefährlich bleiben. Wieso tun sie es nicht – sind ihnen ihre neuesten Erkenntnisse womöglich peinlich?

Die Deutschen haben eine neue Gefahr kennengelernt. Ihre Bekanntschaft zu machen, war grausam. Zehn Tote und Hunderte schwerkranke Menschen sind bislang die Bilanz einer Epidemie mit dem noch recht jungen Darmkeim Ehec, der mit vollem Namen Enterohämorrhagische Escherichia coli heißt. Diesen Zungenbrecher muss sich niemand merken, den Keim aber sehr wohl. Ehec wird uns immer wieder begegnen, er wird zur ständigen Gefahr, wie es die Salmonellen längst für kleine Kinder und alte oder geschwächte Menschen sind. Nur dass Ehec jetzt auch junge Erwachsene aus dem Leben reißt.

Bauern in Sorge - Gurken und Tomaten bleiben liegen Norddeutsche Bauern in Sorge – ihre Gurken will niemand mehr. Doch angesichts des Risikos müssen neue Erkenntnisse direkt an die Verbraucher übermittelt werden. (© dpa)

Seit die Mikrobe vermutlich Ende der 1970er Jahre plötzlich im Pansen eines Rindviehs aus einem harmlosen Coli-Bakterium entstanden ist, hat sie sich immer weiter ausgebreitet. 1990 waren fünf Prozent der Kühe hierzulande infiziert, heute trägt fast jede Kuh den für sie ungefährlichen Keim spazieren.

In Deutschland machte der Keim bisher wenig auf sich aufmerksam, Menschen starben selten daran. Entsprechend schwer tat sich die Politik, Ehec ernst zu nehmen. Es dauerte allein 20 Jahre bis zu einer Meldepflicht für Ehec-Infektionen. Eine solche heilt nicht, aber sie ist ein wichtiges Werkzeug, um Infektionskrankheiten überwachen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen zu können. Auch Aufklärungskampagnen, wie es sie in den USA seit der ersten tödlichen Bekanntschaft mit Ehec 1982 gab, wären in Deutschland längst nötig gewesen.

Denn Ehec birgt im Gegensatz zu Salmonellen eine weitere Gefahr: Die Mikrobe gelangt nicht nur über Nahrung zum Menschen, sie wird auch von Mensch zu Mensch übertragen und kann so zu Epidemien führen. Ehec ist dennoch kein unbeherrschbarer Fluch. Man kann sich davor schützen – und zwar durch einfache Hygiene, auch wenn die verwöhnten Menschen in den Industrienationen diese mehr und mehr zu vergessen beginnen. Viel stärker noch müssten Behörden deshalb am Beispiel Ehec verdeutlichen, dass Händewaschen keine lästige Maßnahme altmodischer Menschen ist, sondern direkt der Gesundheit dienen kann.

Trotz früherer Versäumnisse haben die Behörden beim aktuellen Ausbruch erfreulich besonnen reagiert. Wenige Tage nach dem Auftreten der ersten Fälle informierten sie die Öffentlichkeit. Schnell wurde bekannt, dass diesmal ein besonders aggressiver Keim umgeht, der merkwürdigerweise vor allem junge Frauen trifft, die nicht die üblicherweise verdächtigen Lebensmittel Rindfleisch und Rohmilch verzehrt hatten, sondern rohes Gemüse.

Zu Recht warnte das Robert-Koch-Institut in der Folge vor dem Verzehr von Salat, Tomaten und Gurken in Norddeutschland. Diese Empfehlung war richtig, auch wenn Medien sie in eine Warnung vor Gemüse aus Norddeutschland verwandelten und es nun wirtschaftliche Opfer von Ehec gibt, die Bauern dort in der Region. Angesichts des Risikos müssen neue Erkenntnisse direkt an die Verbraucher übermittelt werden. Niemand braucht Politiker, die vor Kameras heimisches Gemüse verzehren, um dessen Unbedenklichkeit zu demonstrieren, wie dies 1996 in Japan geschah. 8000 Menschen wurden damals durch Ehec-verseuchten Rettich krank.

Doch die offene Informationspolitik muss weitergehen. Denn die Gefahr ist noch nicht gebannt. Es gibt Ehec-Opfer, die sicher sind, keine Gurken gegessen zu haben. Unverständlich ist daher, dass das Hamburger Hygieneinstitut, das die Ehec-Keime auf spanischen Gurken fand, seit vergangenen Donnerstag nichts Genaueres über diese Keime veröffentlicht hat. Arbeitet man dort am Wochenende nicht oder sind neuere Ergebnisse peinlich? Denn nur wenn die Mikroben vom Typ HUSEC41 sind, den das Uni-Klinikum Münster als Verursacher der aktuellen Epidemie identifiziert hat, können die Gurken Quell des Problems sein. Sonst wäre die Meldung eher der Rubrik saure Gurken zuzuordnen.

Quelle: sueddeutsche.de

Ehec gefährdet Bauern – Die Angst des Käufers vor der Tomate

21 Jun

30.05.2011, 15:59

Aus Furcht vor den Ehec-Bakterien halten sich die Verbraucher von Tomaten, Gurken und Salat fern. Für die Gemüsebauern bahnt sich ein wirtschaftliches Desaster an.

Heute kommt wieder kein Lastwagen. Manfred Driessen hat gerade ein knappes Gespräch mit der Genossenschaft geführt. “Kein Großkunde hat bestellt”, erzählt der große, kräftige Mann, und seine Schultern hängen. Keiner will Tomaten kaufen.

Gemüse aus dem Knoblauchsland Nürnberg Tomaten sind derzeit in Deutschland nahezu unverkäuflich. Wegen des Ehec-Erregers hatte das Robert-Koch-Institut in Berlin vor dem Verzehr roher Gurken, ungekochter Tomaten und von Salat gewarnt. (© dpa)

In Driessens gewaltigem, 180 Meter langen Gewächshaus reifen derweil unaufhaltsam die Tomaten weiter. “30 Tonnen hängen hier, die wir ernten müssen”, sagt der 62-Jährige.

Die roten Früchte glänzen prall an den Rispen, sie müssen auf jeden Fall runter. Doch wohin damit? Aus Angst vor dem gefährlichen Darmkeim EHEC lassen Kunden auch Tomaten in den Läden links liegen.

Der Tomatenbauer Driessen aus Nettetal hat sich selbst probeweise im Supermarkt mal neben das Gemüseregal gestellt. “Da gehen die alle dran vorbei”, sagt er.

Der Landwirt kann verstehen, dass die Verbraucher so drastisch auf den lebensgefährlichen Keim reagieren. Schließlich wird vor dem Verzehr von Tomaten, Gurken und Salat gewarnt.

“Alles wird in einen Topf geschmissen”

Allerdings seien die Proben, bei denen EHEC nachgewiesen wurde, in Hamburg genommen worden. “Alles wird in einen Topf geschmissen, wir sind hier im Rheinland”, hadert der Landwirt und verweist darauf, dass er alle Vorschriften einhält und ständig Proben abgibt.

So wie Driessen geht es auch den niederländischen Gemüsebauern. Die Exporte ihrer Produkte nach Deutschland sind stark eingebrochen. Seit Sonntagabend gebe es praktisch keine Lieferungen nach Deutschland mehr, sagte Landwirtschaftsminister Henk Bleker am Rande des EU-Agrarminister-Treffens im ungarischen Debrecen.

Ein hoch spezialisiertes Geschäft

Die Niederlande verkaufen traditionell viel Gemüse nach Deutschland – pro Woche exportieren sie Grünzeug im Wert von circa zehn Millionen Euro nach Deutschland.  Doch auch Bleker äußert angesichts von mittlerweile elf EHEC-Toten Verständnis für das Vorgehen der deutschen Behörden.

Das Robert-Koch-Institut hatte am Mittwochabend erstmals vor dem Verzehr roher Gurken, ungekochter Tomaten und von Salat gewarnt. Diese Warnung gilt weiterhin, da die Quelle des Erregers bislang nicht zweifelsfrei feststeht. Der Darmkeim EHEC breitet sich seit Mitte Mai in Deutschland ungewöhnlich rasch aus.

Der Rheinländer Driessen baut seit acht Jahren nur Tomaten an – es ist ein hoch spezialisiertes Geschäft. Sein Gewächshaus ist 12.500 Quadratmeter groß. Überall ragen in langen Reihen die Pflanzen hinauf zum Glasdach. Es gibt immer gleichzeitig reife Tomaten, aber auch grüne, die noch Zeit brauchen.

So können der Landwirt, seine Frau und die sieben Angestellten ständig ernten, so können die Kunden stetig beliefert werden. Jetzt allerdings ist die Nachfrage zusammengebrochen, und keiner weiß, wohin mit der Ware.

Auch die Kollegen nicht, mit denen Driessen immer wieder telefoniert. “Wir haben Riesenprobleme.”

Der Landwirt rechnet vor: Allein die Energie fürs Treibhaus kostet 6000 Euro die Woche, dazu kommen Lohnkosten für die Angestellten und Investitionen in ein neues Gewächshaus, das gerade entsteht. Auf der Einnahmeseite dagegen Leere.

Ernte, aber wozu?

“Wenn das so weitergeht, dann gehen hier in vier Wochen die Lichter aus”, sagt er. “Dann ist Schluss.” Doch erstmal werden nun die 30 Tonnen geerntet, wenn auch nicht klar ist, wozu.

Zwei bis drei Tage können sie noch in Kisten lagern, dann sind die Tomaten unverkäuflich. Aufs Feld kippen? Oder Biogasanlagen? “Nehmen die das?” fragt der Landwirt. Und in ein paar Tagen sind wieder 30 Tonnen Tomaten rund und schön – reif für den Verkauf – oder die Entsorgung.

Quelle: sueddeutsche.de

Kampf gegen Ehec “Chaos” in Deutschland erzürnt Europapolitiker

21 Jun
07.06.2011, 13:56

“Leichtfertige Warnungen”: Der Umgang deutscher Behörden mit den Ehec-Erkrankungen stößt innerhalb der EU auf heftige Kritik. Geschädigte Landwirte können derweil auf Entschädigungszahlungen hoffen. Über deren Höhe allerdings wird noch gerungen.

Der gefährliche Darmkeim Ehec wütet – und die Reaktionen der Verbraucher haben massive Konsequenzen für die Gemüsebauern. Viele Menschen verzichten auf den Kauf von Tomaten, Gurken und Salat; die Bauern und die Gemüsehändler bleiben auf vielen Produkten sitzen oder müssen sie schreddern.

Bauern werfen tonnenweise Gemüse weg Die Bauern müssen tonnenweise Gemüse wegwerfen, im Bild schreddert ein Bauer Salatköpfe. (© dpa)

Die Klagen über die finanziellen Ausfälle mehren sich. Doch nun können die Bauern auf einen Ausgleich hoffen. Dessen Höhe ist allerdings noch offen.

Die EU-Kommission hatte am Dienstag einen Vorschlag über Hilfszahlungen in Höhe von 150 Millionen Euro vorgelegt. Für die am meisten betroffenen Produkte, die vom Markt zurückgenommen werden, solle 30 Prozent des Referenzpreises aus den Vorjahren bezahlt werden, erläuterte EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos auf einem Dringlichkeitstreffen der EU-Agrarminister in Luxemburg. Abgedeckt werde die Zeit von Ende Mai bis Ende Juni.

Die Agrarminister sprachen sich zwar grundsätzlich für die Hilfszahlungen aus, wie ein EU-Diplomat am Rande des Treffens sagte. Die Summe von 150 Millionen Euro fand allerdings keine Zustimmung. Sie sei als zu niedrig angesehen wurden, hieß es. Ciolos sagte am Abend eine “substanzielle Nachbesserung” vor.

Der europäische Bauernverband Copa-Cogeca hatte gefordert, die Einnahmeausfälle zu 100 Prozent zu ersetzen. Dafür sprachen sich auch der französische Landwirtschaftsminister Bruno Le Maire und seine spanische Kollegin Rosa Aguilar aus. “Für Spanien sind 30 Prozent nicht genug”, sagte Aguilar. Ihr zufolge unterzeichneten mehrere Länder ein Schreiben, in dem sie je nach Produkt Zahlungen in Höhe von 90 bis 100 Prozent der Einnahmeausfälle der Landwirte forderten.

Bundesagrarministerin Ilse Aigner (CSU) stellte in Luxemburg klar, es gehe um Entschädigungen “von EU-Seite”. Die Ehec-Krise sei “ein europäisches Problem”, das daher auch von den Vertretern aller 27 EU-Länder beraten werde. Es stelle sich nicht die Frage, dass Deutschland direkt Entschädigungszahlungen leiste, sagte ein EU-Diplomat.

Kritik an Deutschland

EU-Gesundheitskommissar John Dalli warnte Deutschland vor vorschnellen Warnungen durch Behörden. Infektionsquellen sollten nicht angegeben werden, solange diese nicht durch fundierte Untersuchungen belegt seien, sagte er. Solche Angaben müssten “wissenschaftlich korrekt und beweissicher” sein.

Belgiens Landwirtschaftsministerin Sabine Laruelle nannte die deutschen Warnungen “mitunter leichtfertig” und machte sie dafür verantwortlich, dass Europas Gemüsebauern in Schwierigkeiten geraten seien. “Man weiß gar nicht mehr, wer was” in der Krise mache, ob Landes- oder Bundesminister, kritisierte sie am Rande des Treffens der EU-Landwirtschaftsminister in Luxemburg.

Aigner rechtfertigte das Vorgehen der deutschen Behörden vor ihren europäischen Kollegen. Auf Gurken aus Spanien seien Ehec-Keime gefunden worden, wenn auch ein anderer Stamm als bei den Erkrankten. “Aber in der Tat gab es Ehec-Befunde und deshalb musste das auch gemeldet werden. Das sind die europäischen Regeln”, sagte Aigner. “Es geht hier um Menschenleben”, daher seien Warnungen gerechtfertigt.

Auch Europa-Politiker kritisierten das deutsche Krisenmanagement scharf. In den Augen vieler EU-Abgeordneter fehlt in der Bundesrepublik eine klare Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern.

In den USA gäbe es eine zentrale Seuchenbekämpfungsbehörde in Atlanta, sagte die Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, Rebecca Harms. Weder Deutschland noch die EU seien auf diese Ehec-Krise vorbereitet. “Bei zwei Bundesministerien und Länderministerien gibt es Kommunikationsprobleme, und es fehlt eine echte Kompetenz für Entscheidungen.”

Die SPD-Abgeordnete Dagmar Roth-Behrendt prangerte in Straßburg ein Kommunikationschaos in Deutschland an. Ihr Fraktionskollege Jo Leinen, der Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, beklagte ein Kommunikationschaos und ergänzte: “Es ist inakzeptabel, dass man drei Wochen nach Ausbruch der Krise immer noch nicht weiß, woher der Erreger kommt.”

Quelle: sueddeutsche.de

Informationspolitik zu Ehec – Die Gurkentruppe

21 Jun
03.06.2011, 15:43
Von Lilith Volkert und Markus C. Schulte von Drach

Verbraucherschutzministerium, Gesundheitsministerium, Robert-Koch-Institut und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: In Deutschland mangelt es nicht an Behörden, die sich um den gefährlichen Darmkeim Ehec kümmern. Doch trotz der inzwischen 18 Todesfälle scheint niemand an die verunsicherten Bürger zu denken.

Sie habe keine Angst vor Ehec, sagt die Ministerin und beißt herzhaft in eine frisch geerntete spanische Gurke. Clara Aguilera, Andalusiens Landwirtschaftsministerin, macht klar: Spanisches Gemüse ist sicher. Der Biss in die Gurke war auch eine Botschaft in Richtung Deutschland. Ilse Aigner, Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Berlin, hat zum ersten Mal am 25. Mai vor Gurken, Tomaten und Salat gewarnt. Seit dem 26. Mai steht der Verdacht im Raum, dass Gurken aus Spanien die Ursache für die Hunderten mit dem Ehec-Bakterium infizierten Kranken in Deutschland sind.

Lagegespraech im Robert-Koch-Institut zu EHEC-Erreger Zurückhaltendes Krisenmanagement: RKI-Präsident Reinhard Burger, Gesundheitsminister Daniel Bahr und Verbraucherministerin Ilse Aigner bei einer Pressekonferenz am 30. Mai in Berlin. 

Seither hat man von Ilse Aigner wenig gehört. Mal war die CSU-Politikerin in der Bild am Sonntag, mal im ZDF-Morgenmagazin, sie hat die Warnungen wiederholt und aufrechterhalten. Plakative Aktionen nach dem Vorbild der spanischen Kollegin erwartet in Deutschland wohl kaum jemand. Doch angesichts von 18 Toten, Hunderten Infizierten und Millionen verunsicherten Bürgern ist Deutschlands oberste Verbraucherschützerin erstaunlich schweigsam. Aigner wiederholt die Warnung vor Gemüse und verweist immer wieder auf den Krisenstab, der seit dem 25. Mai der Spur des Ehec-Erregers folgt.

Noch zurückhaltender ist Gesundheitsminister Daniel Bahr. Zunächst hatte sich der FDP-Politiker gegen die Einrichtung eines Krisenstabes ausgesprochen. Beim Ärztetag in Kiel zeigte er sich am Mittwoch zuversichtlich, dass die Infektion beherrschbar sein wird und erinnerte noch einmal an die Empfehlung, Gemüse nicht roh zu essen und sich regelmäßig die Hände zu waschen. Außerdem lobte Bahr den Einsatz der Mediziner: “Sie schaffen es, die Verunsicherung der Bevölkerung abzubauen.”

Gesundheitsminister Bahr ist erst seit drei Wochen im Amt und musste sich seitdem schon um die pleitegegangene Krankenkasse City BKK und ihre auf der Straße stehengelassenen Versicherten kümmern. Ilse Aigner sitzt jedoch schon seit Oktober 2008 dem Verbraucherschutzministerium vor und sollte Krisenerfahrung haben. Doch schon in der Dioxin-Krise Anfang dieses Jahres wurde ihr allzu zögerliches Verhalten kritisiert.

“Offene Kommunikation ist in so einem Fall ein Muss”, sagt Elvira Drobinski-Weiß, die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD, und verweist auf die vielen verunsicherten Bürger: “Frau Aigner und Herr Bahr sollten sich jetzt hinstellen und der Bevölkerung klarmachen: Wir arbeiten mit aller Kraft daran, dass der Ehec-Erreger so bald wie möglich gefunden wird.” Bisher entstehe eher der gegenteilige Eindruck.

Die Grünen lasten der Bundesregierung besonders an, die Bürger trotz der steigenden Zahl von Erkrankungen im Stich zu lassen. Hilfe der Bundesregierung etwa in Form einer zentralen Anlaufstelle suche man vergebens, kritisiert die verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen, Nicole Maisch.

Das offenbart ein weiteres Problem des Ehec-Krisenmanagements: Verschiedene Behörden sind für Ehec zuständig, allein der Bürger weiß nicht, von wem er aktuelle und verlässliche Informationen erwarten kann. Die Verbraucher wurden zwar schnell gewarnt und umfassende Erklärungen zu Hygienemaßnahmen und allgemeinem Hintergrund einer Infektion veröffentlicht. Doch die im Internet verbreiteten Informationen über die Ausbreitung der Seuche, das Vorgehen der Fachleute und die Infektionsquelle sind nach wie vor spärlich.

Auf der Internetseite des Bundesgesundheitsministeriums beschränkt man sich auf die Ernährungsempfehlung von Minister Bahr von Ende Mai. Darüber hinaus gibt es Links auf weitere Behörden wie das Robert-Koch-Institut (RKI) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Ähnlich ist es beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Dass das Bundesministerium für Gesundheit ein Bürgertelefon eingerichtet hat, erfährt man interessanterweise hier, und nicht dort.

Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung beschränkt sich auf allgemeine Hygiene- und andere Empfehlungen zur Vermeidung einer Ehec-Infektion. Auf die Epidemie selbst geht man beim Bundesinstitut für Risikoforschung zwar ein, allerdings ist auch hier die aktuellste Meldung, dass die Ehec-Keime auf den spanischen Gurken nicht für den gegenwärtigen Krankheitsausbruch verantwortlich sind.

Die RKI-Seite mit “Informationen zum EHEC/HUS-Ausbruchsgeschehen” datierte bis an diesem Freitagmittag auf den 1. Juni (Mittwoch). Die Zahl der Todesopfer betrug hier noch neun, übermittelt wurden dem Bundesinstitut laut RKI 1064 Ehec-Infektionen (Stand 31. Mai). In der Zwischenzeit hat das RKI die Zahl aktualisiert. Demnach sind bereits elf Menschen gestorben, die Zahl der Ehec-Infektionen ist auf 1213 gestiegen. Dazu kommen noch 520 HUS-Fälle. Den Landesbehörden zufolge liegen die Verdachts- und Infektionsfälle allerdings bereits bei etwa 2000, die Zahl der Toten bei 18. Beim RKI erklärt man die späte Aktualisierung damit, dass die Zahlen dem Institut mit Verzögerung gemeldet würden. Damit gibt sie den Schwarzen Peter an die Länder weiter. Das macht die Situation für die Verbraucher aber nicht besser.

Am Freitagnachmittag kündigt das Institut auf seiner Seite bereits an, dass die nächste Aktualisierung für den 6. Juni vorgesehen sei.

 

Quelle.

 

Ehec: Wirtschaftliche und politische Folgen Gurken gegen Europa

21 Jun
02.06.2011, 17:33
 
Ein Kommentar von Cerstin Gammelin

Spanien fordert Schadenersatz, Russland stoppt alle Importe: In Europa sorgt die Gurke für ernsthaften Ärger. Dass die deutschen Behörden vorschnell vor Ehec-Erregern in spanischen Gurken gewarnt haben, ist zugegebenermaßen bedauerlich – aber längst kein Grund für diplomatischen Streit.

Es ist faszinierend zu beobachten, wie eine simple Gemüsesorte ganz Europa aufmischen kann. Seit Jahren dient die Gurke als Beweis für europäische Bürokratie. Brüsseler Beamten wird gern vorgeworfen, sie hätten nichts Besseres zu tun, als den Krümmungsgrad der Frucht vorzuschreiben. Der Vorwurf hält näherem Hinsehen zwar nicht stand, aber trotzdem bleibt das hartnäckige Gerücht in der Welt. Und jetzt sorgt die Gurke sogar für ernsthaften Ärger.

EHEC-Erreger auf Salatgurken aus Spanien nachgewiesen In den Müll: Die Behörden hatten zu Unrecht vor einem lebensgefährdenden Erreger in spanischen Gurken gewarnt. Nun bricht europaweit Streit aus. 

Die Spanier werfen den Deutschen vor, das auf der Iberischen Halbinsel angebaute Gemüse zu Unrecht als Träger der lebensgefährlichen Ehec-Erreger geschmäht zu haben – und fordern Schadenersatz, theatralisch unterstützt von einer öffentlich eine Gurke essenden Ministerin. So viel Mut hält indes die Russen nicht davon ab, gleich alle Gemüseeinfuhren aus Europa zu stoppen. Moskau soll nun der für Handel zuständigen Europäischen Kommission eine Erklärung dafür abliefern. Mal sehen, ob die Russen das tun werden.

Das Theater um die Gurke wäre amüsant, ginge es nicht um Leben und Tod. Der Ehec-Keim wütet aggressiv. Betroffene leiden binnen kurzer Zeit an Krampfanfällen, etliche können nicht mehr sprechen, manche sterben. Forscher und Ärzte versuchen alles, um den Träger des Keims zu finden. Im Eifer haben die deutschen Behörden zu schnell vor spanischen Gurken gewarnt. Das ist bedauerlich und sicher auch zu entschädigen, aber kein Grund für diplomatischen Streit. Die Europäer sollten sich besser fragen, warum die EU-Kommission die deutsche Warnung übernommen hat, ohne einen eigenen Test zu machen. Das nüchterne Fazit lautet deshalb: von sofort an Doppel-Checks.

Bahr weist Kritik als “typisch deutsch” zurück

21 Jun

08.06.2011, 08:59

Während die Suche nach dem Ehec-Erreger weitergeht, gerät das Krisenmanagement der Regierung immer stärker in die Kritik, Forderungen nach einer zentralen Bundesbehörde im Kampf gegen Seuchen werden laut. Gesundheitsminister Bahr hält von solchen Ideen nichts. Inzwischen zweifelt die EU daran, dass Deutschland die Krise alleine bewältigen kann.

Die Gesundheitsbehörden jagen weiter nach dem Ehec-Erreger – ohne Erfolg. Nun mehren sich die Stimmen, die fordern, die Suche anders zu organisieren – zentral in der Bundesregierung oder mit Hilfe aus Europa und anderen Ländern. Es ist die Rede von einer zentralen Seuchen-Polizei.

Bund und Laender beraten ueber EHEC Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) vor einem Treffen der Gesundheits- und Verbraucherminister von Bund und Ländern an diesem Mittwoch: “Es kommt auf die Zusammenarbeit der Behörden an.”

Das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie fordert einen zentralen Regierungskoordinator für das Krisenmanagement beim Auftreten gefährlicher Erreger. Derzeit entstehe durch die vielen Wortmeldungen der Eindruck, als würde die Politik den Ereignissen hinterherhecheln, sagte der Direktor des Berliner Instituts, Stefan Kaufmann, der Zeitung Die Welt. Der Koordinator könne die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Ministerien verbessern.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hält von solchen Ideen nichts. “Das ist typisch deutsch. Es wird sofort wieder nach einer neuen Behörde und einer neuen Struktur gerufen”, sagte er im ARD-Morgenmagazin. Es sei nicht entscheidend, welche Behörde welchem Ministerium unterstehe. Vielmehr müsse in Zukunft besser miteinander kommuniziert werden.

“Es ist nicht die Frage, ob es nur eine Behörde gibt, sondern es kommt auf die Zusammenarbeit der Behörden an”, sagte er vor einem Sondertreffen der Gesundheits- und Verbraucherminister von Bund und Ländern an diesem Mittwoch in Berlin. Dort soll auch über Koordination und Kooperation der zuständigen Stellen gesprochen werden.

EU-Gesundheitskommissar John Dalli rief die deutschen Behörden derweil zu einer engen internationalen Zusammenarbeit beim Kampf gegen die Epidemie auf. “Wir müssen auf die Erfahrung und die Expertise in ganz Europa und sogar außerhalb Europas setzen”, sagte Dalli der Welt. Nach Informationen des Blattes erwarten EU-Kreise vor allem, dass Deutschland Experten aus den USA und Japan bei der Suche nach der Quelle des Ehec-Erregers hinzuzieht.

Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung kam unter anderem vom Vorsitzenden des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, Gerd Billen. Er fordert für die Zukunft ein “Krisenmanagement aus einem Guss”. Dieses sollte ein mit größeren Kompetenzen ausgestattetes Robert-Koch-Institut übernehmen, sagte Billen der Mittelbayerischen Zeitung. Die föderale Struktur beim Verbraucherschutz behindere die Aufklärung bei Lebensmittelkrisen. Sobald die Ehec-Krise ausgestanden sei, müssten die Institutionen neu aufgestellt werden.

Auch Sachsens Verbraucherministerin Christine Clauß (CDU) sprach sich für eine bessere übergreifende Zusammenarbeit der Länder aus. “Gerade in Situationen, in denen man es mit einer flächendeckenden Bedrohung zu tun hat, wäre es wichtig, sich enger und zentraler abzustimmen”, sagte sie der Leipziger Volkszeitung.

Der Chef des Robert Koch-Instituts, Reinhard Burger, wies den Vorwurf zurück, das Institut sei mit zu wenig Personal im Einsatz gewesen, räumte aber ein, bisweilen nicht schnell genug gewesen zu sein. “Wir hätten manches noch rascher transparenter machen sollen. Aber die Ereignisse überschlagen sich, alle Mitarbeiter sind extrem gefordert und man kann nicht alles gleichzeitig machen”, sagte er der Passauer Neuen Presse. “Ich sehe von unserer Seite keine groben Fehler und Versäumnisse.”

Im Kampf gegen den Ehec-Erreger gibt es keinen Grund zur Entwarnung, glaubt Nordrhein-Westfalens Verbraucherschutzminister Johannes Remmel (Grüne). In seinem Bundesland habe die Zahl der Neuerkrankungen weiter zugenommen, sagte Remmel im WDR-Radio. Deshalb könne er sich nicht der optimistischen Prognose anschließen, das Schlimmste sei bereits überstanden. In Nordrhein-Westfalen war am Dienstag die Zahl der an dem aggressiven Darmkeim Erkrankten um 30 auf mehr als 300 gestiegen.

Es müsse jetzt geklärt werden, ob sich der Verdacht gegen das Sprossengemüse eines inzwischen gesperrten Hofs in Niedersachsen bestätige, sagte Remmel. “Dann müssen wir weitere acht bis zehn Tage warten.” Wenn dann das Ausbruchsgeschehen in sich zusammenbreche, könne man relativ sicher sagen, dass der Hof die Quelle der Infektionen sei. Erste Laborproben von dem betroffenen Hof in Bienenbüttel waren allerdings negativ ausgefallen.

Die Angst isst mit

21 Jun

08.06.2011, 17:05

Interview: Violetta Simon

Bis zum Ehec-Skandal waren Vegetarier auf der sicheren Seite. Nun scheint sogar das Gemüse bedenklich. Müssen wir uns durch Essen bedroht fühlen? Der Ernährungspsychologe Thomas Ellrott glaubt: nein – wenn wir den Tatsachen ins Auge sehen.

Bis vor Kurzem waren Vegetarier auf der sicheren Seite. Wer hätte gedacht, dass man sich eines Tages vor Gemüse fürchten muss? Wieder ein Lebensmittel, das mit einem Skandal behaftet ist, wieder zieht sich die Schlinge enger. Was kann man eigentlich noch essen? Und welche Auswirkungen hat es auf den Menschen, wenn er seiner Nahrung ständig misstrauen muss? Das Institut für Ernährungspsychologie an der Universität Göttingen setzt sich mit der ganzheitlichen Betrachtung des menschlichen Essverhaltens auseinander. sueddeutsche.de hat mit dem Institutsleiter und Ernährungspsychologen Thomas Ellrott gesprochen.

Thomas Ellrott Professor Thomas Ellrott sieht in Lebensmittelskandalen auch eine Chance für Hersteller und Verbraucher: den Lerneffekt. Der Ernährungspsychologe warnt indes davor, dass Verbraucher mit dem Vertrauen auch etwas anderes verlieren: das Ritual des gemeinsamen Essens.

sueddeutsche.de: Das Thema Ernährung wird immer wieder durch Lebensmittelskandale überschattet. Seit Ehec ist selbst Gemüse, das bis dahin immer als gesund galt, tabu. Wird Essen zur Bedrohung für den Menschen?

Thomas Ellrott: De facto hat sich nichts verändert. Auch jetzt hat der Verbraucher die Möglichkeit, das Risiko einer Erkrankung gen Null zu fahren. Wir können eine Zeit ohne Frischware auskommen, das ist gesundheitlich unbedenklich. Problematisch ist es für die Erzeuger, die auf ihrer Ware sitzenbleiben.

sueddeutsche.de: Rinderwahn, Vogelgrippe, Schweinepest, Dioxin – können Sie sich vorstellen, dass jemand das Vertrauen in Essen verliert?

Ellrott: Das betrifft nur jenen Teil der Bevölkerung, der sich besonders viele Gedanken um Ernährung macht.

sueddeutsche.de: Halten Sie diese Leute für Hysteriker?

Ellrott: Man könnte sie als Orthorektiker bezeichnen, die stets versuchen, das bestmögliche zu essen – was am Ende nicht gelingen kann. Diese Menschen sind im Moment besonders verunsichert und beschäftigen sich den ganzen Tag mit diesen Fragen, so dass sie Schwierigkeiten haben, ihren Alltag zu bewältigen.

sueddeutsche.de: Und wie verhält sich der Rest?

Ellrott: Viele sind Pragmatiker, die sich an den Meldungen des Robert-Koch-Instituts orientieren und Produkte konsumieren, die als ungefährlich gelten.

sueddeutsche.de: Sie glauben also nicht, dass es Auswirkungen hat, wenn wir einem der essenziellsten Bedürfnisse – der Nahrungsaufnahme – nicht mehr uneingeschränkt nachkommen können?

Ellrott: Man muss zwischen einer kurzfristigen – einer Panikreaktion – und einer langfristigen Auswirkung unterscheiden. Fast jedes Lebensmittel hatte schon einmal einen Skandal und es besteht immer ein gewisses Risiko. Dennoch können wir darauf nicht mit kompletter Enthaltsamkeit reagieren. Wir sind gezwungen zu essen. Also greifen wir auf bewährte Erfahrungen zurück: Wir kochen Lebensmittel, bevor wir sie essen, bereiten sie so zu, dass wir uns sicher fühlen …

sueddeutsche.de: … und essen das, was eben noch als gefährlich galt, munter weiter. Bis der nächste Skandal eintritt. Der Verbraucher muss sich doch wie ein Versuchskaninchen fühlen!

Ellrott: Gefühlt ja, real nein. Trotz der Ehec-Seuche sind Lebensmittel bei uns etxrem sicher. Durch die umfangreiche Berichterstattung überschätzen wir das tatsächliche Risiko erheblich. Die mediale Kommunikation schützt den Verbraucher aber auch. Denn Industrie und Politik tun ja alles, um das Problem wieder in den Griff zu bekommen. Bei bleibenden Risiken wie zum Beispiel Salmonellen sind wir als Verbraucher gefragt, indem wir gewisse Hygieneregeln beachten. So gesehen haben diese Skandale immer auf beiden Seiten einen Lerneffekt.

sueddeutsche.de: Immer mehr Menschen reagieren mit einem sonderbaren, selektiven Essverhalten. Die so genannte Laktoseintoleranz scheint sich derzeit als Mode-Allergie zu etablieren. Woher kommt das?

Ellrott: Beim Essen gibt es ein wichtiges Lernprinzip, das sogenannte Imitationslernen. Wenn etwa ein Verwandter auf Laktose verzichtet und begeistert davon berichtet, wie gut er sich nun fühlt, werden solche Verhaltensweisen oft übernommen, ohne dass es einen physiologischen Grund dafür gibt. Der Preis, den sie dafür zahlen, ist gering: Schaden tut es nur dem Portemonnaie – und eventuell dem Genuss.

Je mehr Wissen, desto mehr Angst

sueddeutsche.de: Aber warum nimmt dieses Verhalten derart zu?

Ellrott: Wir ertrinken praktisch in der Flut von Botschaften rund um Ernährung und Gesundheit. Durch die vielen Medienberichte, die stets mit Skandalen assoziiert sind, wird der informierte Stadtmensch immer wieder verunsichert. Am glaubwürdigsten bleiben die Erfahrungen und Ratschläge von Freunden und Verwandten.

sueddeutsche.de: Wie wirkt sich diese Verunsicherung bei der Wahl der Lebensmittel aus?

Ellrott: Da geraten Aspekte viele durcheinander. Erstens die Lebensmittelsicherheit  – sie steht im Moment im Vordergrund. Dann der Aspekt Gesundheit – Übergewicht, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebsrisiko. Schließlich noch der Aspekt Nachhaltigkeit, der sich mit Klima, Tierschutz oder fairen Bedingungen für die Erzeuger auseinandersetzt. Das alles ist für den Verbraucher schwer zu differenzieren. Sobald sich diese Bereiche in der Diskussion und im Gefühl des Verbrauchers miteinander vermengen, entsteht Widersprüchlichkeit, und daraus resultiert Ratlosigkeit.

sueddeutsche.de: Wird Gemüse nun einen Imageschaden erleiden – selbst wenn man es offiziell wieder bedenkenlos essen kann?

Ellrott: Bei der bedrohlichen Assoziation handelt es sich um eine Verunreinigung von außen, die der Mensch aber beseitigen kann. Die positiven Eigenschaften von Gemüse – viele Vitamine, geringe Kalorienmenge – bleiben davon unberührt. Das ist für die öffentliche Kommunikation wichtig. Gemüse wird also wieder Vertrauensträger, sobald die Verunreinigung eliminiert ist.

sueddeutsche.de: Wer sich in der Kantine am Salatbuffet bedient, hat ja schon immer bei Kollegen einen guten Eindruck gemacht.

Ellrott: Wobei man immer hinterfragen sollte, ob die Auswahl in diesem Falle nicht im Sinne von sozialer Erwünschtheit erfolgt.

sueddeutsche.de: Sie meinen, unbeobachtet würden wir zum Schweinebauch greifen, häufen aber rote Beete auf den Teller, um unseren Mitmenschen etwas vorzumachen?

Ellrott: Nennen wir es “imponieren”. Soziale Kontrolle führt tatsächlich zu verantwortungsbewussteren Entscheidungen. Es gibt ein schönes Coffeeshop-Experiment mit Kaffee aus fairem Handel. Der wichtigste Faktor für die Wahl des fairen Kaffees war, ob jemand bei der Bestellung am Tresen hinter dem Kunden in der Schlange stand.

sueddeutsche.de: Halten Sie die öffentliche Diskussion um das Essen für realitätsfern?

Ellrott: Absolut. Sehen Sie sich meinetwegen einen Veganer-Blog an und dann schauen sie, was die meisten Menschen im Discounter kaufen – eine komplett andere Welt! Das eine ist eine abgehobene, teils ideologisch überlagerte Diskussion, das andere die quantitative Realität.

sueddeutsche.de: Das heißt, solche Ideale sind auf Dauer nicht umsetzbar?

Ellrott: Wenn dann nur langfristig. Derzeit betrifft es eher eine kleine Elite, die den Weitblick hat – und die wirtschaftlichen Möglichkeiten. Dem Durchschnitt der Bevölkerung kommt es in erster Linie auf Genuss und Geschmack an, und natürlich zählt der Preis.

sueddeutsche.de: Sind wir wirklich so eine homogene Herde? Oder unterscheiden wir uns wenigstens ein bisschen voneinander.

Ellrott: Natürlich gibt es unterschiedliche Verbrauchertypen. Nach einer Nestlé-Studie kann man die Deutschen ganz grob in drei Gruppen einteilen: Etwa ein Drittel der Bevölkerung machen die Gesundheitsbewussten aus. Diese Gruppe hat derzeit die größten Probleme aufgrund der vielen widersprüchlichen Botschaften. Dann gibt es die Gleichgültigen, die sagen: “Das wird alles viel heißer gekocht als es gegessen wird”. Denen braucht man mit Gesundheitsmotiven nicht kommen, die essen über Geschmack, Gewohnheit, Preis oder Convenience – es muss einfach und schnell gehen. Die dritte Gruppe, die “Multioptionalen”, ist im Wachsen begriffen. Dabei handelt es sich um Personen, die eigentlich Nachhaltigkeit und Gesundheit anstreben, die im Alltag aber so eingespannt sind, dass sie es nicht schaffen.

sueddeutsche.de: Welche Rolle wird Essen in Zukunft für den modernen Menschen spielen – werden die gemeinsamen Mahlzeiten endgültig aussterben?

Ellrott: Leider ja, doch es gibt eine Art von Mahlzeit, die passt sehr gut in unsere Zeit und ist äußerst positiv besetzt: das Grillen. Da stehen meist Männer, die sonst wenig mit der Zubereitung von Essen zu tun haben, am Grill, man lädt Freunde ein und isst miteinander. Dieser Aspekt ist für die Gesundheit der Menschen wichtig – und zwar für die soziale. Ich kann körperlich vollkommen gesund sein, doch wenn ich in kein soziales Netz eingebunden bin, fehlt mir ein wichtiger Bestandteil dessen, was der moderne Mensch als Gesundheit definiert. Etwas, das meine Lebenserwartung ebenso beeinflussen kann wie die reine Nahrungsaufnahme. Wir brechen das Thema Essen oft auf die negativen Aspekte herunter und schaden damit dem Ritual des gemeinsamen Essens – und damit uns selbst.

 

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